Natur-Yoga auf Waldwegen

Die Yogapraxis ist stark mit der Idee verbunden, dass es sich um eine Kombination aus Bewegung und Heilmittel handelt, die zusammen manche Beschwerden lindern können und vielleicht sogar auf einige große philosophische Fragen des Lebens Antworten geben können. Viele Praktizierende haben positive Kraft aus dem Yoga schöpfen können, aber zumindest einige haben dabei auch bemerkt, dass regelmäßiges Üben hin und wieder auch einen Willenskampf erfordert. Die Erforschung der vielschichtigen Yogaphilosophie macht das Üben nicht immer einfacher, besonders dann nicht, wenn die Begriffe noch fremd sind und die Ziele weit entfernt erscheinen.
Was kann man tun, wenn Alltagsaufgaben oder andere Verpflichtungen den Geist für sich einnehmen, wenn es eigentlich Zeit für die Sonnengrüße wäre? Oder die in alten Texten beschriebenen Tugenden im Alltag nicht anwendbar sind und die philosophischen Tore des Yoga sich einfach nicht öffnen? Lohnt es sich, auf der Yogamatte zu bleiben und dieselben Sequenzen zu wiederholen, oder sollte man den auftauchenden Herausforderungen lieber aus dem Weg gehen?
Die Natur heilt Körper und Sinne
Womöglich fanden sich einige der alten Yogis und Asketen vor denselben Herausforderungen wieder und zogen sich deshalb in Wälder zurück? Vielleicht beruhigte sich auch ihr Geist einfacher, als sie den Erwartungen der damaligen Gesellschaft entkamen und sich zurückziehen konnten?
Man muss heutzutage nicht zum Einsiedler werden, aber ein gelegentlicher Tapetenwechsel könnte auch den heutigen Yogapraktizierenden eine neue Richtung weisen. Warum nicht mal dem von den alten Wald-Yogis gewiesenen Weg in die Natur folgen, um in einer Umgebung zu üben, in der der Einfluss des Menschen und der Gesellschaft möglichst wenig spürbar ist? Ob man es Wald- oder Natur-Yoga nennt, spielt keine Rolle. Für viele ist es eine geeignete Methode, sich aufzuladen, vom Alltag sowie den eigenen Erwartungen loszulösen und der Natur die Pflege von Körper und Sinnen zu überlassen.
Laut neuen Forschungsergebnissen bringt bereits ein kurzer Aufenthalt in der Natur gesundheitliche Vorteile. Körperliche Aktivität stärkt den Körper, und schon das bloße Verweilen in der Natur tut dem Geiste gut. Bewegung im Freien bietet im Vergleich zu Bewegung in geschlossenen Räumen zusätzliche Vorteile, wie etwa eine verbesserte Stimmung, und bereits fünfzehn Minuten in der Natur wirken sich nachweislich positiv aus. Wenn sich die Wissenschaft so stark für Bewegung in der Natur ausspricht, fragt man sich, warum wir Yoga und Outdoor-Aktivitäten nicht öfter miteinander verbinden und die Vorteile von Natur und frischer Luft genießen.
Möglichst unkompliziert einsteigen
Die Vorteile der Bewegung in der Natur liegen auf der Hand: Die Methoden sind fast für alle zugänglich, in der Regel kostenlos, lösen viele Arten von Stress und sind oft leicht umzusetzen. Zunächst kann man so einfach wie möglich beginnen: ein Spaziergang in die nahegelegene Natur, um hier und dort ein paar einfache Übungen zu machen, zwischendurch die Geräusche oder Düfte der Umgebung wahrzunehmen und frische Luft zu atmen. Das Ergebnis ist garantiert. Wer sich mehr dafür begeistert, kann sich auch mit neueren Methoden beschäftigen, die sich zusammen mit Yoga in der Natur eignen, wie das japanische Shinrin-Yoku, das Waldbaden, oder die in Finnland entwickelte Methode Metsämieli. Dabei werden recht moderate körperliche Übungen, einfache Achtsamkeits- und Sinnesübungen praktiziert und auch ein Park in der Nähe reicht für das üben.
Wer eine intensive und tiefgehende Erfahrung machen möchte, sollte Schlafsack und Proviant in den Rucksack packen und sich für mehrere Nächte auf Waldwege, Bergpfade oder eine Wasserroute mit dem Kanu begeben. So kann man das naturnahe Dasein mit dem Wandern durch die Natur und Yoga verbinden und eine Art Retreat schaffen, bei dem die Meisterrolle von der Natur und der Umgebung übernommen wird.

Die Natur beginnt zu kommunizieren
Wer Erfahrung auf den Wanderpfaden hat und sich mit der Orientierung auskennt, mag den Ruf der wandernden Vorfahren hören und eine tiefere Erfahrung beim Alleinwandern machen. Wenn das Geplauder der Gruppe durch das Eintauchen in die Natur, deren Beobachtung und ein einfaches Leben ohne überflüssiges Wissen ersetzt wird, kann man den grundlegenden Fragen des Lebens nahe kommen. Der Wanderautor Jouni Laaksonen sagt, dass der Alleinwanderer tatsächlich allein ist – aber zu zweit mit der Natur.
Ein längerer Naturausflug mag beängstigend erscheinen, aber wer seine Wanderung im Voraus plant, kann sich vertrauensvoll auf den Weg machen. In der Natur muss man keine Angst haben. Die größte Gefahr ist der Mensch für sich selbst und für die Natur. Beispiele muss man nicht hervorheben. Sonst helfen beispielsweise eine Wasserflasche, Sonnencreme, eine Kopfbedeckung und natürlich eine Zeckenkontrolle nach dem Durchstreifen von Wiesen.
Wenn sich der Yoga-Weg und der Naturpfad vereinen, könnte der Wanderer eines Tages feststellen, dass sich die ihn beschäftigenden philosophischen Gedanken auf natürliche Weise ordnen und an Bedeutung gewinnen und dass ihn überflüssige Fragen nicht mehr belasten. Stattdessen beginnt die Natur sich mit denen auszutauschen, die zuhören. Dort in der Natur finden sich etwa Formen, Düfte, Spuren von Tieren oder manchmal sogar Relikte alter Kulturen. Es gibt viele Wetter- und Jahreszeitenwechsel und vor allem unzählige, vielfältige Lebewesen, die in ihrer Artenvielfalt erstaunlich sind und von denen jedes eine ebenso wichtige Rolle spielt wie auch der vorbeiziehende Wanderer.
Im Frühling sprießt aus der Erde vielfältiges Grün und die Stimmen zahlreicher Vögel mischen sich beim Übernachten im Freien mit den Träumen. Im Sommer wärmt die Sonne und das Wasser kühlt die Haut, im Herbst sieht man im Sternenhimmel die Vergangenheit vor sich, und schließlich im Winter scheint es, als wären ein zufälliger Rabe oder eine Krähe die einzigen weiteren Anwesenden, wenn man auf den Skiern zu einer Wildnishütte unterwegs ist.
Verschwende reichlich Zeit
Überlege dir also, welcher Pfad und welche Landschaft für dein Natur-Yoga geeignet sind. Ist es eine Fluss- oder Seenlandschaft, ein Moor, ein Wald oder ein Berg, nahe oder fern, und was die Zeit und deine Möglichkeiten zulassen? Nimm dann eine Karte zur Hand, mache einen Plan, packe Proviant in deinen Rucksack und mache dich auf den Weg. Auf den Pfaden gibt es Platz für eine ganz individuelle Art, Körper, Geist und Achtsamkeit zu üben.
Es gibt mehr Ding' im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.
– Shakespeare –
Beim Natur-Yoga kannst du dieselben Übungen machen wie im Studio, aber verzichte auf allzu technisches Üben. Ersetze die Yogamatte durch Moos oder Felsen, sei barfuß – und vor allem – achte auch auf die Natur, anstatt nur die Formen oder Muster der Übungen zu wiederholen.
Verstecke den Minutenzeiger deiner Uhr und stelle deinen Körper auf Naturzeit ein, gehe mal betont langsam, fühle die Tannenzweige, lehne dich mit geschlossenen Augen an einen alten Baum oder Felsen, spüre den Wind und rieche die Düfte. Verschwende dafür reichlich Zeit. Eile nicht, bleib auch mal länger an einem Ort, beobachte die Umgebung und speichere die Eindrücke in deinem Gedächtnis, damit du ihre Wirkung abrufen kannst, wenn du wieder zu Hause bist.